Küchenschelle

Artikel über die SuggestionPersönliche Beobachtung über die Suggestion am Beispiel der SZ

Die Suggestion

In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung am 13./14.04.2019 war in der Rubrik „Buch Zwei" ein dreiseitiger Artikel mit dem Titel „Der Guru" erschienen. Wäre es nicht die SZ, sondern eine ebenso bekannte Zeitung in Indien, in der ein Artikel mit dieser Überschrift erscheint, würde den Leser eine wertschätzende Berichterstattung über einen weisheitsvollen, spirituellen Lehrer erwarten. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff guru im Sanskrit,„schwer oder gewichtig", und im weiteren Sinn auch „der Lichtbringer", also ein Lehrer, der die geistige Dunkelheit vertreibt und das Licht zu seinen Schülern bringt. Im Deutschen spricht man auch allgemein davon „ich tappe im Dunkeln", wenn man noch keine genauen Erkenntnisse über eine Sache hat, erst wenn man sich ein Bild über eine Sache gemacht hat, „kommt Licht ins Dunkle". Dieses Bild kann man auch auf den Schüler in einem indischen Ashram beziehen, der sich, noch unwissend über spirituelle Zusammenhänge, einem weisheitsvollen Lehrer zuwendet, damit dieser mit der Weitergabe seines Wissens „Licht" in seine Unkenntnis bringen kann. Durch das Studium von weisheitsvollen Schriften und Aussagen des Lehrers, wird der Schüler schließlich zu eigenen Erkenntnissen gelangen. Es ist die SZ aber keine indische Zeitung und so verhält es sich mit der Titel-Wahl anders, denn hier im Westen ist der Begriff des „Guru" anders geprägt und wird im zeitgenössischen Sprachgebrauch oftmals abwertend oder spöttisch gebraucht. Man benutzt den Begriff für Menschen, die durch ihre religiösen oder philosophischen Aussagen sogenannte „Anhänger" um sich scharen, die sich nach allgemeiner Ansicht dann in Form einer Selbstaufgabe und Überantwortung an diesen spirituellen Lehrer „anhängen". Der bewusst gewählte Titel „Der Guru" gibt dem Leser gleich am Anfang eine „Denkrichtung" vor, um welche Art von Person es sich in diesem Artikel handelt. Die Illustration neben dem Titel, die Heinz Grill im Lotussitz vor einer mit Gehirnen gefüllten Waschmaschine zeigt, dahinter astrologische und geometrische Zeichen, suggeriert dem Leser, dass der Yogalehrer Heinz Grill die Methode der Gehirnwäsche anwendet und Menschen beeinflusst. Die beiden Journalisten Julius Heinrichs und Ralf Wiegand wenden mit dem Illustrator Peter M. Hoffmann bewusst suggestive Methoden an, um den Leser zu einer bestimmten Meinung über Heinz Grill und seine vermeintlich ihm angehörende Gruppe zu führen.

Der Begriff der „Suggestion" lässt sich lt. Wikipedia etymologisch auf das lateinische Substantiv suggestio, -onis, was so viel bedeutet wie Hinzufügung, Eingebung oder Einflüsterung, oder auf das lateinische Verb suggerere (zuführen, unterschieben) zurückführen. Die Suggestion ist eine Willensausübung bzw. es findet ein Willensübergriff auf den Leser durch eine manipulative Schreibweise statt, und folglich ist es auch eine Machtausübung, da man dem Leser unbemerkt eine Meinungsrichtung „unterschiebt", die dem eigenen Interesse entgegenkommt. Die Journalisten haben ein Motiv, vielleicht einen Auftrag von der SZ-Redaktion, dass sie zum Schreiben dieses Artikels veranlasst hat und dieses Motiv ist wegweisend für die Art und Weise und für die Kernaussage des Artikels.

Um die Person Heinz Grill zu beschreiben, wäre es angemessen, auch das bisherige Lebenswerk und aktuellen Aussagen hereinzuführen. Liest man eines der Bücher von Heinz Grill, es sind an die 140 Bücher und Broschüren in verschiedenen Fachbereichen erschienen, dann wird man hier über Guru- oder Gruppenstrukturen nichts finden, sondern z. B. in der „Lehrer-Schüler-Broschüre" eine Darstellung über ein zeitgemäßes, entwicklungsförderliches und freies Verhältnis zwischen einem spirituellen Lehrer und einem interessierten Schüler. Besucht man einen Fachvortrag von Heinz Grill, wird man nicht selten eine Ausführung darüber hören, wie hinderlich Gruppenstrukturen und Gruppenzugehörigkeit für eine freie Entwicklung des Individuums sind, da der Einzelne in Gruppen oft zu einer Verantwortungsabgabe neigt oder vor Anforderungen und Aufgaben zurückweicht, die dann praktischerweise die Gruppe „auffängt".

Durch den Titel „Der Guru" wird die Aufmerksamkeit des Lesers bewusst in eine Richtung gelenkt. Mit dem folgenden Untertitel werden scheinbare Fakten beschrieben und mit dem Yogalehrer Heinz Grill in Zusammenhang gebracht, die nicht der Wahrheit entsprechen. So wird die bereits beim Leser „eingeleitete Denkrichtung" noch einmal verstärken, und eventuelle Vorurteile, die mit dem Begriff „Guru" in der Regel verbunden sind, bestätigt.

Der Untertitel lautet: „Christine und Wilhelm B. werden in ihrem Ferienhaus in Frankreich brutal getötet. Das Ärztepaar aus München, aber auch der mutmaßliche Mörder gehörten zum Umfeld des charismatischen Yoga-Lehrers Heinz Grill. Dessen Anhänger führen schon seit Jahren den Staat vor, lähmen die Justiz und verfolgen gnadenlos alle Kritiker."

Im Untertitel steht die Kernaussage des gesamten Artikels, dass ein Mord mit einem Guru und einer Sekte in Verbindung steht, und, wie man im Artikel und in der Illustration erkennen kann, wird ein manipulativer Schreibstil und eine ebenso manipulative Illustration angewendet, um dem Leser genau diese Zusammenhänge zu suggerieren. Die Suggestion ist eine manipulative Beeinflussung von Vorstellung oder Empfindung, und in dem SZ Artikel erzeugt dies beim Leser Unsicherheit und Angst. Die Suggestion ist so versteckt im Text „hinterlegt", was zur Folge hat, dass die Manipulation nicht wahrgenommen wird oder es zumindest äußerst schwer bis unmöglich ist, sich die suggestive Schreibweise bewusst zu machen. Erkennt der Leser die manipulative Schilderung der Umstände nicht, so wird er unbewusst in seinem Denken, Fühlen und letztendlich auch in seinem Handeln beeinflusst.  In der Regel geht der unbedarfte Leser einer renommierten Zeitung davon aus, dass hier Fakten in einem logischen und richtigen Zusammenhang dargestellt werden und wird dem Artikel zuerst einmal Glauben schenken. Ohne Hinweise darauf, dass diesem Artikel eine Lüge zugrunde liegt und scheinbare Fakten in unwahre Bezüge gebracht werden, kann der Leser kaum zu einem objektiven Urteil über den Sachverhalt kommen. Er wird beim Lesen vielleicht eine Unruhe bemerken, oder eine veränderte Atmung, aber meist wird er diesen Begleiterscheinungen nicht sehr viel Beachtung schenken und so die mehr unbewussten Anzeichen für die Wahrnehmung der Suggestion nicht bewusst registrieren.

Gleich nach dem Titel, wird im Untertitel von Mord geschrieben und das Charisma des Yogalehrers erwähnt. Die Adjektive brutal und charismatisch fallen auf und sie stehen unmittelbar mit Mord und dem Yogalehrer Heinz Grill in Verbindung. Im Gedächtnis bleibt: Mord, Yogalehrer, Anhänger.

Die sehr bedeutende Tatsache, dass es schon über einen langen Zeitraum einen Familienkonflikt innerhalb der Familie von Christine und Wilhelm B. gab, der auch über die Arzt-Patientenverhältnisse und über die Yogakursteilnehmer nach außen getragen wurde, wird hier zu Beginn nicht erwähnt. Innerhalb dieses Familienkonfliktes hat es den mutmaßlichen Totschlag des Ärzteehepaares durch den Schwiegersohn und den Suizid des Schwiegersohnes in der Untersuchungshaft in Frankreich gegeben. Bis zum heutigen Tag ist der Totschlag des Schwiegersohnes – es gab keine Anklage wegen Mord, sondern wegen Totschlag - juristisch nicht aufgeklärt und kein Urteil gesprochen. In Deutschland gilt bis zum Urteilsspruch die Unschuldsvermutung. Weiter wird beschrieben, dass die Anhänger des Yogalehrers Heinz Grill schon seit Jahren den Staat vorführen, die Justiz lähmen und gnadenlos alle Kritiker verfolgen. Tatsache ist, dass durch die Aufklärung der eigenen Tochter Cornelia O. und der geschädigten Patienten und Yogaschüler von Christine B., die Sektenstrukturen einer Frau B. aufgedeckt wurden. Nachdem die kriminelle und schädigende Arbeitsweise von Christine B. aufgedeckt war, hat die Ärztin kurzerhand die Umstände einfach „umgekehrt" und mit Unterstützung der katholischen Kirche und des Kriminalhauptkommissars Harry B., Heinz Grill zum Guru und alle an seinem Yoga Interessierten, ehemalige Patienten und Teilnehmer ihrer Yogakurse zur Sekte gemacht. Ungeachtet dessen, dass geschädigte Personen von ihrem persönlichen Recht Gebrauch machen und aufgrund des ihnen widerfahrenen Unrechts, wegen Schweigepflichtverletzung, Unterlassung und anderen Ärzteverfehlungen gegen C. Bornschein klagen, wird diese Tatsache im Artikel einfach „umgedreht" und man bezeichnet die Kläger kurzerhand allesamt als Anhänger, die schon seit Jahren den Staat vorführen, die Justiz lähmen und gnadenlos alle Kritiker verfolgen.

Weiter liest man im Artikel: „Heute, gut drei Monate nach dem Tod von Klaus O., hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen formal immer noch nicht für beendet erklärt. Das Verbrechen, mit dem sie es zu tun hat, dürfte in dieser Form allerdings auch einmalig sein. Einen „psychologischen Krimi" erkannte die französische Lokalzeitung „Var Marine", in deren Verbreitungsgebiet sich das vorläufige Finale der Geschichte zutrug. Eine Geschichte, die in der Welt des Spiritismus spielt, der Anthroposophie, des Paranormalen, der Weltanschauung – Rationalität zählt da nur wenig."

Die Bedeutung der gewählten Begriffe spielt in einer Darstellung eine wesentliche Rolle, denn häufig sind Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch, oder in bestimmten Zusammenhängen, mit Assoziationen verbunden und belegt, und daher nicht mehr in ihrer ursprünglichen Bedeutung zu verstehen. Seriöser Journalismus setzt Begriffe so ein, dass die Bedeutung klar ist, oder zumindest im Zusammenhang erklärt wird und damit für den Leser auch ein konkretes und klares Bild über einen Sachverhalt entsteht. Der Begriff „Spiritismus" bezeichnet eine Methode, mit der man mittels eines Mediums Verbindung zu Verstorbenen aufnimmt, oder auch mittels Beschwörungs-Techniken mit Geistern und Gespenstern in Kontakt tritt. Dies geschieht in einem veränderten Bewusstseinszustand, meist in einer Form von Trance. „Anthroposophie" ist eine Geisteswissenschaft, die von Rudolf Steiner begründet wurde und wörtlich übersetzt „Weisheit des Menschen" bedeutet. In der Geisteswissenschaft werden durch die Aktivität des eigenen Bewusstseins und logisch nachvollziehbaren Vorgehensweisen, Phänomene studiert und ihre Ursachen erforscht. Die Erforschung von Phänomenen und die sich daraus entwickelnde Erkenntnis, ist für jeden einzelnen Menschen möglich und erfolgt nicht in Abhängigkeit von einem Medium oder „Übermittler", sondern ganz individuell aus einer eigenen, bewussten Aktivität heraus.

Das im Artikel nachfolgend dargestellte Verbrechen, wird als „in dieser Form" einmalig dargestellt, sodass es selbst nach 3 ½ Jahren Ermittlungsdauer nicht geklärt werden konnte. Dafür gibt es aus Sicht der Journalisten eine Erklärung, denn dieses Verbrechen spielt sich in einer Welt des Unerklärbaren ab: in der Welt des Spiritismus, der Anthroposophie, des Paranormalen und der Weltanschauung. Deshalb kann, so die Einschätzung der beiden investigativen Journalisten Julius Heinrichs und Ralf Wiegand, auf der Basis von Rationalität bis heute keine Erklärung für diesen „psychologischen Krimi" gefunden werden.

Der mutmaßliche Mordfall wird also insgesamt dem Spiritismus, der Anthroposophie, des Paranormalen und der Weltanschauung zugeordnet. Es werden vier sehr unterschiedliche Begriffe aneinandergereiht, und letztendlich damit in einen Topf geworfen. Diese vier Begriffe stehen für sehr unterschiedliche Bereiche und auch für eine sehr unterschiedliche Art und Weise der Auseinandersetzung mit „Spiritualität im weitesten Sinn". Durch die Aneinanderreihung wird ein Zusammenhang suggeriert und auch durch die Darstellung, dass in all diesen Bereichen Rationalität nur wenig, im Grunde gar nichts zählt. Die Ärztin B., wie später im Artikel noch aufgezeigt wird, „probierte spirituelle Moden aus, Religiöses von Indien bis Europa, alles, was sie zwischen Himmel und Erde so für möglich hielt" und hat dann tatsächlich „all diese Möglichkeiten" in Form von Hypnose, Runenstellen und anderen Techniken in ihren Yogaunterricht im eigenen spirituellen Zentrum in München hereingeführt. Ihren Unterricht hat sie trotz der Vermischung und Verfälschung immer als „Neuen Yogawillen" gekennzeichnet, obwohl sie nie eine Ausbildung bei Heinz Grill absolviert hat und die Art und Weise ihres Yogaunterrichtes in keiner Weise etwas mit dem förderlichen Entwicklungsgedanken des „Neuen Yogawillens" zu tun hatte. Aufgrund ihrer eigenartigen Vorstellungen von Spiritualität, hat die Ärztin Christine B., ein eigenes Yoga-System aufgebaut, in dem sie unangefochten an der Spitze stand und aus ihrer Sicht die „alleinige Weisheit" besaß. Diese herausragende Stellung begründete sie nach eigenen Angaben mit ihrer „besonderen göttlichen Inkarnation" und kommunizierte dies auch in ihrer Praxis und im Unterricht. Nach Aussagen von ehemaligen Patienten und Schülern wurde die Ärztin und „Yogalehrerin" Christine B. sehr ärgerlich, wenn man Kritik an ihr oder ihrem Unterricht übte und diskreditierte den Kritiker gleich, indem sie  ihn meist als „unfähig und noch nicht wissend" bezeichnete und war an einem konstruktiven Austausch nicht interessiert.

Diese sektiererische Vorgehensweise und der seit langem bestehende Familienkonflikt innerhalb der Familie B., werden an dieser Stelle nicht erwähnt, sondern die Geschichte wird gleich zu Beginn des Artikels „der Welt des Spiritismus, der Anthroposophie, des Paranormalen und der Weltanschauung zugeordnet", und damit die anfangs eingeleitete „Denkrichtung" beim Leser weiter bestärkt. Über die aufgezeigten Bereiche haben wahrscheinlich viele Leser nur sehr vage Vorstellungen und in der Folge entsteht ein unkonkretes und subjektives Bild über die Sache, das meist mit Unsicherheit und unbewussten Ängsten belegt ist.

Eine freie Anschauung von Fakten ist bei dieser Darstellung nicht möglich und so wird der Leser nur durch umfassende eigene Recherche und Auseinandersetzung zu einem objektiven Bild über die Hintergründe dieses Artikels gelangen.

Christine Heiß